Zaubertöne mit 7 Flöten

Sowas brennt sich in die Seele ein: Im Hotel geboren, ließ seine Mutter ihn alleine und verschwand. Der Hotelier entdeckte das Baby unter einer Decke und brachte es ins Säuglingsheim. Wer so eine Erfahrung machen muss, zerbricht oft daran. Hans-Jürgen Hufeisen aber verwandelte seine Seelenwunde in eine Gabe und wurde ein heute gefeierter Flötist.

„Ich musste lernen, mit meinem Atem umzugehen“, sagt der 67-jährige Musiker, der damals unter der Bettdecke im Hotel auch hätte ersticken können. In St. Georg stellte er, wie schon vor drei Jahren, wiederum unter Beweis, dass Musik aus der Dunkelheit strahlendes Licht machen kann.

Und eben davon erzählte Hans-Jürgen Hufeisen in der fast vollbesetzten, in sanftes Licht getauchten St.-Georgs-Kirche: Wie er aufgewachsen ist in einem Kinderheim, wie er mit sechs Jahren seine erste Blockflöte bekam, von seiner ersten Flöten-Unterrichtsstunde unter einem Baum. Und er erzählte Geschichten und Anekdoten Baumweisheiten, Holzgeheimnisse und was das Largo aus Antonio Vivaldis C-Dur-Sonate in ihm auslöste: das tiefe Empfinden und Wissen, dass die Musik heilen kann, das Herz berühren, die Seele streicheln und uns Flüge wachsen lassen kann.

Und er spielte auf seinen sieben Flöten meditative, einfühlsame, virtuose und gar mystische Weisen wie den Feentanz aus Irland oder archaische Klänge aus dem neunten Jahrhundert. Ganz hoch hinaus ging es mit Hans-Martin Lindes elegischer „Music for a bird“, die an die Grenzen dessen geht, was eine Blockflöte in den Händen eines wahren Meisters zu leisten vermag. Sensibel, präzise und gleichzeitig voller Spannung Jacob van Eycks berühmte „Engelsnachtigall“ von 1644, melancholisch entrückt seine Erinnerung an den „Himmel über Aleppo“, übermütig verspielt der „Tanz der Delfine“.

Hans-Jürgen Hufeisens interpretatorischen Möglichkeiten scheinen keine Grenzen zu kennen, er spielt je nach Stimmung melodiös und leicht, heiter und tänzerisch, voll und rund, mit warmem Klang, flüsternd, säuselnd oder auch mit schrillem Weckruf. Und er ist den Menschen nahe, für die er seine Musik zelebriert; ganz augenfällig wurde das kurz vor Schluss des Konzerts, als er mit einem Segenslied flötend durch die Kirchengänge schritt und sich bei den Zuhörern für ihre Aufmerksamkeit bedankte.

Die ließen ihn natürlich ohne Zugaben nicht gehen und erklatschten als gefühligen Abschluss das Volkslied vom guten Mond und das alte Kinderliedchen über die vielen Sterne am Himmelszelt. Mit brausendem Applaus bedankten sich die Zuhörer für ein besonderes Musikerlebnis – Zaubertöne aus sieben Flöten, großes Kino für die Ohren.

Organisiert wurde das Konzert vom Arbeitskreis Kunst, Kultur, Kirche und dem katholischen Bildungswerk.

Hans Lüttmann, WN 9.11.2021