Was für ein beglückender Spätnachmittag im Bürgerhaus (der ein ganzes Bündel von Ausrufezeichen verdient hätte)! Wie sie diesen so elegant wie schräg, tiefgründig und lakonisch, todernst und zum Totlachen hingekriegt haben, erklären Christina Brudereck („Wie Schwesterkurve”) und Ben Seipel als Duo „2Flügel” mit einem zum Niederknien schönen Zitat des Schauspielers Denzel Washington: „Warum schließen wir unsere Augen, wenn wir beten, weinen, küssen, träumen? Weil die schönsten Momente im Leben nicht gesehen werden, sondern mit dem Herzen erlebt.”
Jeder Zuhörer im voll besetzten Bürgerhaus würde diesen Satz mit geschlossenen Augen unterschreiben, denn schon nach wenigen Texten und Takten waren sie verzaubert von der wunderbaren Stimmung, die diese beiden Künstler mit ihrer hinreißenden Verbindung von Poesie und Musik erzeugen. Die jedoch nichts für Nebenbeihörer ist, denn ihre Geschichten, Lieder und Bilder aus anderen Zeiten, Ländern und Kulturen belegen auf sympathische, ansteckende Weise, dass das Leben schön und wert ist, ernsthaft gelebt zu werden.
Aber was war denn das, was die beiden Essener – sie Theologin, Schriftstellerin und Theopoetin, er Pianist, Dozent und Improvisationstalent (Ben Seipel schaffte 40 80er-Jahre-Hits in unglaublichen 120 Sekunden) – auf Einladung des Arbeitskreises Kunst, Kultur, Kirche und des Katholischen Bildungswerks in ihrem einfühlsamen, meditativen, philosophischen, gut zweistündigen Programm in die Herzen des Publikums sang, erzählte und beflügelte?
„Kopfkino” haben sie den frühen Abend überschrieben und Poetry-Slam, virtuose Klaviermusik, fein gedrechselte Erzählgeschichten, witzige, bisweilen sogar weise Wortverdrehungen zu einem nachdenklichen, mal ränenrührenden, dann aber auch zum Lachen lustigen Lichtspiel für die Seele komponiert, in dem Miss Marple, Hans Albers und Billy Joel, Chopin, U2 und Humphrey Bogart, James Bond und Papst Franziskus („Zum Katholischwerden!”, sagt die Protestantin Christina Brudereck), Miss Sarajevo und Oprah Winfrey die wichtigste Botschaft dieses frühen Abends, die Essenz des Lebens erklären: Der Mensch muss eine Heimat haben. Ob er dafür Flügel braucht? Am Ende jedenfalls verteilte Christina Brudereck aus ihrem Täschchen Federn. Für Flügel reichen die wohl nicht, ganz sicher aber doch fürs Träumen vom unerklärlichsten, geheimnisvollsten, wundervollsten Gefühl unseres Lebens: die Liebe.
Hans Lüttmann, WN 29.10.2019