Lieber Ramesh, im Dezember 2014 bist du zu uns gekommen. 10 Jahre bist du nun schon in Saerbeck, die ersten Tage im Haus am See, dann einige Jahre in der Marktstraße und sein etwa vier Jahren im Pfarrhaus, aber immer unter den Menschen. Darüber freuen sich ganz viele Saerbecker:innen und sie hoffen, dass das noch lange so bleibt. Der nicht enden wollende Applaus am Sonntag in der Kirche hat das sehr deutlich unterstrichen.
Katja Niemeyer (WN) hat zu einem Pressegespräch eingeladen. Hier ihr Bericht:
Auf den Tag genau zehn Jahre ist es her, dass Pfarrer Ramesh Chopparapu nach Saerbeck kam. Die Musik des Kolping-Blasorchesters klang damals noch fremd in den Ohren des Inders. Mittlerweile fühlt er sich pudelwohl in der St.-Georg-Gemeinde.
Von einem Leben als Pfarrer in Deutschland — davon habe er eigentlich nie geträumt, erzählt Ramesh Chopparapu freiheraus und lächelt. Bereut habe er den Schritt dennoch zu keiner Zeit. Genau zehn Jahre ist es jetzt her, dass der Inder erstmals die Saerbecker St.-Georg-Kirche betrat. Weihnachten 2014 begann sein Dienst in der katholischen Gemeinde.
Zugleich war es der Start in ein komplett anderes Leben. In seinem alten war Ramesh Chopparapu in Motu tätig, einer kleinen Gemeinde mit rund 300 Gläubigen in Südindien. Fünf Jahre wirkte er dort als Priester. Dass er in dieser Zeit zu einer Berühmtheit wurde in dem dortigen Bistum, das hatte er nicht geplant. Und das lässt ihn auch heute noch ungläubig auf die Ereignisse blicken, die schon bald eine gewisse Eigendynamik bekamen.
Der 46-Jährige erzählt, wie er — noch neu in der Gemeinde — zunächst zusammen mit Gläubigen auf einem nahegelegenen kleinen Berg mit Steinen eine Marienkapelle errichtete. Kurz darauf hätten sie daneben ein großes Kreuz aufgestellt. Wie es dazu kam, kann er sich nicht wirklich erklären, aber der Ort wurde über die Jahre zu einer Art Pilgerstätte für jährlich rund 2000 Gläubige aus der Region.
Der Pfarrer, den alle in Saerbeck freundschaftlich nur mit Ramesh ansprechen, will nicht viel Aufsehen machen um die Geschichte. Aber man merkt ihm an, dass er sich darüber freut, dass er es war, der den Grundstein dafür gelegt hatte, dass seither an dem Ort jeweils am 14. September das Fest der Kreuzerhöhung gefeiert wird. Als er darauf zu sprechen kommt, erfährt man erst durch mehrmaliges Nachfragen, welche Dimension es mittlerweile hat.
Dann zeigt er ein Video, in dem man eine von ihm angeführte Prozession sieht. Unter klassischen indischen Gesängen schlängelt sie sich den Berg hinauf. Es habe nicht lange gedauert, erzählt er, da sei auch der heimische Bischof auf das große katholische Fest aufmerksam geworden, das an einem Tag im September gefeiert wird. Seither nehme der Geistliche regelmäßig daran teil.
Ramesh Chopparapu kommt aus einer kleinen Gemeinde namens Siddayapalem im Südosten Indiens, in dem das Thermometer praktisch nie unter 30 Grad fällt. Seine Eltern, sagt er, seien Tagelöhner gewesen. Von Juni bis Dezember arbeiteten sie wie viele im Dorf auf den Feldern, setzten per Hand Reispflanzen in den Boden. Ein Knochenjob. In der anderen Jahreshälfte schufteten sie auf dem Bau, schleppten Steine. Ein Leben, das eigentlich auch für ihn vorgezeichnet war — wenn nicht Lehrer in seiner Volksschule auf den begabten Schüler aufmerksam geworden wären.
Für den wäre nach fünf Jahren eigentlich Schluss gewesen mit der Schule. So ist es üblich in dem abgelegenen Dorf. Ramesh Chopparapu aber durfte weiterlernen in einem 250 Kilometer entfernten und von der katholischen Kirche finanzierten Internat. Elf Jahre war er, als er fortging von zu Hause. Da begann für ihn eine harte Zeit. Das sagt er selbst.
Nur zweimal im Jahr fuhr er in den Ferien nach Hause. „Ich hatte sehr viel Heimweh“, erinnert sich der Pfarrer. Hinzu kam, dass er zunächst viel Lernstoff nachholen musste. „In der Volksschule unterrichtete ein Lehrer fünf Klassen gleichzeitig. Da hinkten wir natürlich hinterher“, erläutert er. Aber Ramesh Chopparapu ließ den Kopf nicht hängen. „Ich hatte Gottvertrauen und irgendwie auch den Mut, das durchzustehen“, sagt er.
Dass er viele Jahre später regelmäßig nach Siddayapalem zurückkehren würde mit Spenden aus Saerbeck, auch das war nicht vorauszusehen. Zunächst studierte er — ebenfalls mit finanzieller Unterstützung der katholischen Kirche — Theologie und Philosophie, anschließend auch noch Soziale Arbeit. Nach der Priesterweihe übernahm Ramesh Chopparapu die Leitung der katholischen Gemeinde in Motu. Bei der Tätigkeit, so erzählt er es an diesem Vormittag, habe er viel Zeit und Kraft in die Ausbildung von Jugendlichen gesteckt. Dass auch Menschen, die in Armut leben, Zugang zu Bildung haben, das ist ihm ein großes Anliegen.
Ramesh Chopparapu steckte mitten in der Arbeit, als ihn eine Anfrage seines Bischofs erreichte. Dieser habe wissen wollen, ob er sich vorstellen könne, eine Stelle als Pfarrer in Deutschland anzunehmen. Der junge Priester überlegte, holte sich Rat bei Freunden. Sie hätten gemeint, dass die Arbeit „eine große Bereicherung“ sein werde. Also sagte er zu. Das Bistum Münster bereitete den Inder auf seinen Einsatz in einer Gemeinde vor. Acht Monate lang lernte er Deutsch. Dann trat er seinen Dienst in der St.-Georg-Gemeinde an.
Die ersten Tage in der neuen Heimat sind ihm noch gut im Gedächtnis geblieben. Erstmals erlebte der Inder ein Konzert des Kolping-Blasorchesters mit. Die Musik klang fremd in seinen Ohren, „aber die Herzlichkeit der Menschen, die habe ich sofort gespürt“, sagt er. Vorm Kaminfeuer im Saerbecker Bürgerhaus schenkten Vertreter der Pfarrei ihm zur Begrüßung ein Bier ein. Und in den Adventsgottesdiensten wurde Ramesh Chopparapu als neuer Seelsorger vorgestellt.
Dass er in einer lebendigen Gemeinde wie Saerbeck gelandet sei, das, sagt der Pfarrer, „war Gottesfügung.“ Und: „Ich fühle mich hier pudelwohl.“
Der Kontakt in sein indisches Heimatdorf brach nie ab. Mit dem Geld aus Saerbeck finanzierte der Pfarrer inzwischen mehr als 650 dringend notwendige Augenoperationen. 230 Frauen wurden als Näherinnen ausgebildet, einige Kinder erhielten durch Patenschaften eine Schulbildung. Auch eine Suppenküche baute Ramesh Chopparapu auf. Ein Teil der Spendengelder floss außerdem in ein Internat für Gehörlose.
Die Hilfsprojekte brachten ihm und seiner Familie Ansehen. Darum, betont er, sei es ihm aber nie gegangen. Seine Mutter habe weiterhin als Tagelöhnerin gearbeitet. Erst vor zwei Jahren setzte sie sich aus gesundheitlichen Gründen zur Ruhe. Da sei sie schon über 70 gewesen.
Ramesh Chopparapu hat auf dem großen Sofa in seiner Wohnung überm Pfarrbüro Platz genommen. Zum Ende des Gesprächs deutet er an, dass er hoffe, eines Tages seine Eltern zu Besuch zu haben in Saerbeck. Dann wird er nachdenklich. „Wie habe ich das bloß alles geschafft?“, fragt er.