Hier nun wie versprochen der Vortrag von Herrn Thierse.
Dr. Wolfgang Thierse – Christen in der Politik – Vortrag am 16.10.2024Die Veranstaltung im Spiegel der Presse
Die Reihe „Christen in der Politik“ des Katholischen Bildungswerkes startete am Mittwochabend mit einem Vortrag von Ex-Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Thierse. Er referierte vor über 100 Zuhörern im Pfarrheim St. Georg zum Thema „Gerechtigkeit schafft Frieden“.
In seiner Begrüßung erinnerte Werner Heckmann daran, dass die Deutsche Bischofskonferenz dies bereits 1983 postuliert hatte. Es sei ein aktuelles und bedeutsames Thema in Zeiten, in denen die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergehe.
Thierse skizzierte zu Beginn seinen Weg als Christ in die Politik. Geboren 1943 in Breslau, wuchs er nach dem Krieg in Thüringen auf. „Wir waren Fremde und nicht willkommen“, stellte er fest. Er wurde im Elternhaus katholisch geprägt, in der Diaspora war es allerdings nicht leicht, den christlichen Glauben zu leben. „Kirchen waren jedoch Orte der Freiheit in einem unfreien Land“, betonte der Redner. Daher spielten sie eine herausragende Rolle bei der friedlichen Revolution im Jahr 1989.
Den Weg in die Politik fand Thierse nach dem Mauerfall. 1990 trat er in die neu gegründete SPD der DDR ein. Nach dem Zusammenschluss mit den Sozialdemokraten der Bundesrepublik wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt und im Oktober 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 1998 bis 2005 bekleidete er das Amt des Bundestagspräsidenten.
„Derzeit erleben wir ein eigentümliches Ritual“, erklärte Thierse. Jedes Jahr zum „Tag der Deutschen Einheit“ würden die Bürger Ostdeutschlands gelobt, ansonsten jedoch wegen ihrer Verschiedenartigkeit entweder belächelt oder kritisiert.
Dass Rechtsextremisten dort besonders starken Zulauf hätten, führte Thierse auf autoritäre Prägung und die dramatischen Veränderungen und Krisen der jüngsten Zeit zurück. Wohnungsnot, Migrationsschübe, ethnische Pluralisierung, Digitalisierung, Wohlstandverlust, Klimawandel und Kriege überforderten die Menschen, da sie die Folgen der Umwälzungen der Wendezeit noch nicht verarbeitet hätten.
Materielle und kulturelle Verteilungskonflikte führten zu Änderungen in Gerechtigkeitsfragen und einem deutlich sichtbaren Ost-West-Gefälle, so der Referent. Dies seien gute Zeiten für „Vereinfacher und Schuldzuweiser“, die keine konstruktiven Lösungen für drängende Probleme anböten und stattdessen enttäuschte Menschen mit populistischen Parolen köderten.
„Wir erleben ein Zeitalter der existenziellen Ohnmachtserfahrung“, konstatierte Thierse. Da die Politik keine schmerzlosen Lösungen anbieten könne, reagierten die Menschen mit Politikverdrossenheit, Hass auf „die da oben“ und zunehmender Gewaltbereitschaft.
Politik müsse sich um Überwindung sozialer Gegensätze kümmern. „Die Schaffung einer gerechten Ordnung unter Preisgabe der Freiheit muss scheitern“, so Thierse. Wohlstand werde sich nicht mehr ständig vermehren, Lasten müssten jedoch gerecht verteilt werden. Die Medien forderte er auf, Hoffnung zu verbreiten und Ängste nicht weiter zu schüren. Der christliche Glaube sei eine starke Motivation für ein gelingendes Leben in Frieden und Freiheit.
In der Diskussion beantwortete der Politiker Fragen zur Umsetzung der von ihm genannten Forderungen, zum Föderalismus und zu konkreten Aufgaben für die Bürger. „Stärken Sie Parteien der Mitte“, riet er den Anwesenden. Er wurde mit langem Beifall verabschiedet.
In der Reihe „Christen in der Politik“ sprechen am 5. November NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann und am 20. November Jan-Niclas Gesenhues, Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Beginn ist jeweils 19.30 Uhr im Pfarrheim.
Brigitte Striehn WN 18.10.2024